Zum Tod von Fidel Castro – ein verspäteter Nachruf von Gerhard W. Schleifer-Possbach

Wien (pts034/06.12.2016/17:15) – Der kubanische Revolutionär und Politiker Fidel Castro (1926-2016) ist am 4.12. in Santiago de Chile mit einer Urnen-Bestattung im kleinen Kreis bestattet worden. Am 13. August verstarb der langjährige Regierungschef, Staatspräsident und Vorsitzende der Kommunistischen Partei Kubas in Havanna.

Selbst wenn das Ableben des aus der Karibik stammenden Revolutionsführers Fidel Alejandro Castro Ruz infolge der Dichte der Ereignisse dieser Welt uns nicht intensiv beschäftigt, werden seine komplexe Persönlichkeit, die historischen Rahmenbedingungen und sein politisches Wirken über die Karibikinsel hinaus weiter unser Interesse wecken. Insbesondere, wenn wir die Entwicklung globaler Zusammenhänge besser verstehen wollen. Gemeint ist ein Verständnis jenseits eines oberflächlichen Diskurses nach einer dichotomischen Bewertung der Welt mit dem Credo: Hier der kapitalistische, der Freiheit verpflichteten, liberale Westen – und dort die andere, die kommunistische, jeden Freiheitsdrang unterdrückende Welt des Bösen.

Differenzierte Bewertung nötig

Demnach sollten wir die persönliche und politische Biografie des „Maximo Lider“ differenziert beurteilen. Nicht, um dem Postulat der Verifikation zu seiner Verteidigungsrede vor dem Gerichtshof in Santiago de Cuba 1953 zu entsprechen, die er mit dem Satz „Die Geschichte wird mich freisprechen“ beendete. Es ist nie die Aufgabe der Geschichte, wen auch immer und wovon auch immer freizusprechen. Castro stand damals nach einem Angriff auf zwei kubanische Kasernen vor Gericht, der einen Volksaufstand auslösen sollte, um das herrschende Batista-Regime zu stürzen.

Vielmehr wäre eine differenzierte Bewertung nützlich, um:

– unser Urteilsvermögen bezüglich politischer Systeme und historischer Prozesse zu schärfen – unsere Methodologie der Bewertung des „anderen“ einer längst fälligen Reflexion zu unterwerfen und – im Rahmen dieses Verfahrens durch die Konfrontation mit ausgeblendeten oder verdrängten Fakten einen Erkenntnisprozess zu initiieren, der zwar kein universell gültiges Bild dieses Menschen und seiner politischen Entscheidungen entwirft, aber eine tiefere Auseinandersetzung ermöglicht, um sich der Komplexität von Castros Person und seines politischen Handelns anzunehmen.

Im Widerstand in Wort und Tat

Fidel Castro entstammte einer bürgerlichen Familie. Von Jesuiten erzogen, absolvierte er die juristische Fakultät der Universität von Havanna. Er analysierte präzise die Korruption des Batista-Regimes, die unerträgliche Diskriminierung von Teilen der kubanischen Gesellschaft und die daraus resultierende sozioökonomische Ungerechtigkeit. Castro war bereit, nicht nur darüber zu diskutieren, sondern auch für gesellschaftspolitische Verhältnisse Sorge zu tragen. Dies tat er in einem bewaffneten Kampf, der ihn von seinen Freunden isolierte, für fast zwei Jahre ins Gefängnis und schließlich ins mexikanische Exil brachte.

Die Kubanische Revolution von 1959 ermöglichte Castro nicht nur die Begegnung mit dem späteren „Che“ Guevara, sondern auch die Begegnung mit der kubanischen Bevölkerung. Die unterstützte ihn und seine „Bewegung des 26. Juli“ nur deshalb, weil Fidel Castro es verstand, durch seine humanistische Einstellung die Sympathie der unterdrückten „Campesinos“ für die politischen Ziele der Kubanischen Revolution zu gewinnen. Dieser Umstand weckte weltweit Interesse an Castros Disposition zur Macht.

Internationales Interesse an Castro

Auch politisch Interessierte in Europa, enkulturiert durch westliche Werte einer quasi-pluralistischen Demokratie, mehr oder weniger vertraut mit marxistischer-leninistischer Ideologie, stellten dazu ihre Fragen, etwa nach Castros Verhältnis zu den USA, zur Agrarreform oder zur Installation expliziter politischer Institutionen. Oder auch folgende Fragen: Was trieb ihn in die Arme der Sowjetunion? Was verursachte die Entfremdung zwischen ihm und Che Guevara? Welcher Zusammenhang bestand zwischen dem kubanischen Modell und der Flüchtlingswelle in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts?

Aber wir können uns natürlich auch fragen, wie es Kuba selbst unter den Bedingungen des von den USA seit 1959/60 verhängten Handels-, Wirtschafts- und Finanzembargos gelang, ein Bildungssystem aufzubauen, das die Analphabeten-Rate radikal reduzierte sowie die Akademiker-Quote entsprechend erhöhte. Laut UNESCO-Education for All Development Index gehört Kuba heute zu den hochentwickelten Ländern der Welt im Bildungsbereich. Und wie schaffte es das Land, ein Gesundheitssystem aufzubauen, das nicht nur als vorbildlich für Lateinamerika gilt, sondern zudem Patienten aus diversen Staaten dazu brachte, sich in Kuba medizinisch behandeln zu lassen. Hinzu kamen zahlreiche Auslandseinätze des medizinischen Personals in annähernd 60 Staaten der Welt, etwa in Venezuela, Nicaragua, Bolivien, Angola oder Äthiopien.

Rolle Kubas in der Welt

Die Rolle Kubas im internationalen System wurde maßgeblich repräsentiert von Castro. Der vertrat 1968, nach der militärischen Intervention der Warschauer-Pakt-Staaten in der CSSR, zwar noch die sowjetische Position. 1980 jedoch verurteilte er den Einmarsch der Sowjets in Afghanistan. Seine Haltung war nicht nur getragen von einer militärischen Komponente wie in Zentralamerika oder Afrika. Besonderes Augenmerk legte Castro auf die Rolle Kubas im Rahmen der Blockfreien Bewegung als strategischer Institution zur Befreiung von der ökonomischen Abhängigkeit der Dritten Welt von ihren ehemaligen „Kolonialherren“. Damit plädierte Castro für das kubanische, nicht das sowjetische Modell als Paradigma für ehemalige Kolonien in ihrem antiimperialistischen Kampf.

Die Verhältnisse verstehen

Westliche Intellektuelle, die mit Castro und der Kubanischen Revolution sympathisierten, bereisten den Inselstaat in den 1960er und 70er Jahren. Sie unterstützten auch humanitäre Kampagnen und leisteten Erntehilfe. Diese Sympathisanten versuchten, manche miserablen Zustände in Kuba unter Berücksichtigung des einzigartigen geopolitischen Gefüges und der sozialpolitischen Determinanten dieses Landes zu verstehen. Für das Verständnis spielten auch vielschichtige Persönlichkeit Castros und Bedingungen seiner politischen Sozialisation eine Rolle.

Nicht zuletzt wurden westliche Besucher der eigenartigen Beziehung zwischen der kubanischen Bevölkerung und technischen Beratern aus der Sowjetunion und der DDR gewahr. Berater aus diesen sozialistischen Partnerländern entwickelten aufgrund des divergenten Lebensgefühls und unüberbrückbarer kultureller Differenzen kaum Affinität zu den Einheimischen.

Reisende, die dieses Land aus einer konsumorientierten Perspektive besuchen, sehen oft nur die Armut in den Straßen Havannas. Selbst, wenn sie von der begeisternden kubanischen Musik begleitet werden. Sie empören sich über den Zerfall von Villen ehemaliger spanischer Zuckerbarone in Cienfuegos, Trinidad oder Colon. Und sie vermuten, dass die Gefängnisse in diesem Land mit Oppositionellen überfüllt sind, währenddessen sich kommunistische Funktionäre bei Krim-Sekt und russischen Kaviar in theoretischen Debatten verlieren.

Eine solche Sicht zeigt jedoch eine undifferenzierte und zum Teil zynische Betrachtung politischer Verhältnisse und ihrer Proponenten wie Fidel Castro. Sie würde sich unter Annahme einer komparatistischen Methodik dem Verdacht einer Projektion aussetzen und postuliert damit die bedenkliche Hypothese einer widerspruchsfreien Entwicklung der Menschheit.

Widersprüchliche politische Persönlichkeit

Gerade Castro ist ein Paradigma für die Widerlegung dieser Hypothese: Castro, der Katholik und Kommunist, der Humanist, der aber für oppositionelle Politiker oder in Ungnade gefallenen Kampfgefährten diktatorische Maßnahmen empfahl. Castro, der sich ständig in Bereitschaft wähnte, gegen die USA einen Verteidigungskrieg zu führen, allerdings nach dem Anschlag auf das World Trade Center 2001, den USA medizinische Unterstützung vorbehaltlos angeboten hatte.

Auch Guantanamo, militärischer Stützpunkt der USA in Oriente auf Kuba seit dem Ende des 19. Jahrhunderts geführten spanisch-amerikanischen Krieg, wurde von Kuba bis dato nicht beansprucht. Die Frage sei erlaubt: Hätten wir, die westliche Welt, auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges auf einer der griechischen Inseln einen sowjetischen Militärstützpunkt akzeptiert?

Jedoch die weitaus essentiellere Frage bezieht sich auf das politische Vermächtnis jenes Mannes, der nach über zweijährigem Guerillakampf gegen die zahlenmäßig weit überlegene Armee Batistas nach dem Sieg der Kubanischen Revolution die politische Führung in Kuba übernahm. Er tat dies mit dem Anspruch, ein politisches Programm für eine freie und gerechte Gesellschaft zu realisieren. Allerdings blieb auch Castro die elementare Erkenntnis für die Prämissen einer solidarischen, selbstbestimmten Gesellschaft in Freiheit und Gerechtigkeit verborgen und trotzdem – „venceremos“!

(Ende)

Aussender: Schleifer Gerhard – Politikwissenschaftliche Studien Ansprechpartner: Mag. Gerhard W. Schleifer E-Mail: gws23@gmx.at