Epidemie Herzinsuffizienz: Tirol ist Vorreiter bei Therapienetzwerk und Ausbildung

Innsbruck (pts020/04.05.2018/14:00) – Bereits zum neunten Mal werden heuer zum Europäischen Tag der Herzinsuffizienz (5. bis 7. Mai) in vielen Ländern und Städten Europas Aufklärungsinitiativen gesetzt. Auch in Tirol, das inzwischen Vorreiter bei Therapie-Netzwerken und spezialisierter Ausbildung in der Pflege ist.

Gesundheitslandesrat Prof. Tilg: HerzMobil Tirol startet am 1. Juni in Schwaz

„Ab 1. Juni 2018 wird HerzMobil Tirol auch im Bezirk Schwaz angeboten. Weitere Bezirke werden folgen. Auch bei der Pflege von Menschen mit Herzschwäche setzen wir in Tirol Maßstäbe: Die spezialisierte Weiterbildung ‚Herzinsuffizienzberatung‘ des AZW in Innsbruck wurde jetzt als einzige im deutschsprachigen Raum von der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie anerkannt“, freut sich LR Univ.-Prof. Dr. Bernhard Tilg: „HerzMobil Tirol ist das bisher erste und nach wie vor einzige Herzinsuffizienzprogramm in Österreich, das bereits bei den PatientInnen in der Regelversorgung angekommen ist.“

Bisher konnten 220 Frauen und Männer in den Bezirken Innsbruck und Innsbruck-Land auf dieser telemedizinischen Grundlage zu Hause überwacht und betreut werden. Beteiligt sind derzeit die Landeskrankenhäuser in Innsbruck, Hall, Hochzirl und Natters gemeinsam mit niedergelassenen ÄrztInnen und speziell geschulten Pflegepersonen. Ab 1. Juni wird ein derartiges Netzwerk mit dem Bezirkskrankenhaus Schwaz starten.

Kardiologe Prof. Pölzl: Herzinsuffizienzversorgung in Tirol auf sehr gutem Weg

„Herzinsuffizienz, also die umgangssprachliche ‚Herzschwäche‘, ist eine der großen Herausforderungen der modernen Medizin und Gesundheitssysteme. Immer mehr Menschen in Europa erkranken an dieser oft unterschätzten, aber gefährlichen Krankheit mit hohem Sterblichkeitsrisiko und beträchtlichen Krankheitskosten, von der inzwischen ein bis zwei Prozent aller Erwachsenen betroffen sind“, erklärt der Kardiologe Univ.-Prof. Dr. Gerhard Pölzl vom Landeskrankenhaus-Universitätskliniken Innsbruck, Innere Medizin 3. „Wir stehen in Westeuropa vor einer Epidemie der Herzinsuffizienz.“

Von den Über-70-Jährigen sind bereits zehn Prozent daran erkrankt, und diese Bevölkerungsgruppe wächst rasch. Laut dem aktuellen Deutschen Herzbericht hat sich bei unserem Nachbarn in den vergangenen drei Jahrzehnten die Spitaleinweisungsrate wegen Herzinsuffizienz mehr als verdoppelt. Die Sterblichkeit im höheren Alter steigt dramatisch an. „Diesem Trend müssen wir gegensteuern“, sagt Prof. Pölzl: „Es gibt gute Diagnostik ebenso wie Therapien. Damit möglichst viele Menschen davon profitieren, brauchen wir zweierlei: Gut funktionierende Versorgungsnetzwerke und Spezialisierung. In Tirol sind wir auf dem richtigen Weg.“

HerzMobil Tirol setzt neuen Standard – Versorgungsnetzwerken gehört die Zukunft

Mit dem innovativen Projekt HerzMobil Tirol, das auf der Grundlage von Telemonitoring und Vernetzung arbeitet, wurde in Österreich ein neuer Standard gesetzt. Herzinsuffizienz-PatientInnen senden nach der Entlassung aus dem Krankenhaus in den ersten drei, manchmal auch sechs Monaten über ein Smartphone jeden Tag von zu Hause Daten zu Blutdruck, Herzfrequenz, Körpergewicht, Wohlbefinden und Medikamenteneinnahme an das Versorgungsnetzwerk. Bei Auffälligkeiten besucht eine speziell ausgebildete Pflegperson die PatientInnen zu Hause und unterstützt sie. Die Vernetzung von PatientInnen, HausärztInnen, HerzspezialistInnen, Pflegekräften sowie Angehörigen ermöglicht auch den Austausch und das Abrufen der jeweils benötigten Information. „Mit dieser strukturierten Betreuung kann die Krankheit stabilisiert, die Lebensqualität verbessert, die Sterblichkeit verringert, die Zahl der Wiedereinweisungen ins Krankenhaus reduziert und eine Kostensenkung erreicht werden“, bilanziert Prof. Pölzl. „Solchen Netzwerken gehört die Zukunft.“

Spezialisierung in Medizin und Pflege

„Zweitens brauchen wir Spezialisierung“, sagt Prof. Pölzl. Die Arbeitsgruppe Herzinsuffizienz der Österreichischen Kardiologischen Gesellschaft hat deshalb ein Curriculum für die Erlangung von Zusatzqualifikationen für KardiologInnen zum Thema Herzinsuffizienz erarbeitet, das gerade in der Begutachtung ist.

Stv. AZW-Direktorin Dr.in Buchberger, MSc: Bedarf an spezialisierten Pflegepersonen wird steigen

Bei der Spezialisierung in der Pflege hat Tirol jetzt durch die von der Heart Failure Association (HFA) der Europäischen Kardiologengesellschaft zertifizierte Weiterbildung „Herzinsuffizienzberatung“ am Ausbildungszentrum West für Gesundheitsberufe (AZW) in Innsbruck seine Vorreiterrolle bestätigt. „Wir sind wohl zu Recht stolz drauf, das einzige Ausbildungszentrum im deutschsprachigen Raum zu sein, das diese Zertifizierung erhalten hat“, sagt Dr.in Waltraud Buchberger, MSc, Fachbereichs- und Schuldirektorin Pflege des AZW. „Im Sinne einer von ÄrztInnen delegierten Verantwortung beraten und schulen diese Pflegekräfte im Rahmen des HerzMobil Tirol-Projekts die PatientInnen. Das soll die Betroffenen in die Lage versetzen, eigenverantwortlich an ihrer Behandlung und der Anpassung ihres Lebensstils mitzuwirken.“

Dauer der Weiterbildung

Die Weiterbildung umfasst das für diese Tätigkeit erforderliche Wissen von der Pathophysiologie der Herzschwäche über den kompetenten Umgang mit Telemedizin, der Überprüfung des Medikamentenkonsums und der Therapietreue bis hin zur Fragen der Kommunikation. Die Ausbildung dauert insgesamt fünf Wochen: Vier Wochen Unterricht innerhalb von neun Monaten und 40 Stunden Praktikumszeit. Der nächste Jahrgang der AZW-Ausbildung startet im Juni 2018. Es gibt derzeit 14 Anmeldungen und noch einige Restplätze.

Absolventin Mag.a Krestan: „Wir begleiten Kranke in die Mündigkeit und Selbstständigkeit“

„Als diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerinnen und -pfleger sind wir durch diese Kompetenzvertiefung in der Lage, Menschen mit Herzschwäche nach der Krankenhausentlassung innerhalb von drei bis sechs Monaten bei sich zu Hause zu so genannten adhärenten PatientInnen zu schulen“, berichtet Mag.a Susanne Krestan, Absolventin des AZW-Kurses zur Herzinsuffizienzberaterin. „Also zu selbstständigen und mündigen PatientInnen, die gemeinsam mit der Ärztin oder dem Arzt das Beste aus ihrer Krankheit machen können. Die sich gut auskennen und im Umgang mit ihrer Herzschwäche sicher fühlen. Bei der Ausbildung erlernen wir schwerpunktmäßig das, was wir dafür brauchen.“

Dabei gehe es zum Beispiel um medizinisches Wissen über Herzinsuffizienz, das an PatientInnen in verständlicher Weise weitergeben werden soll, aber auch um die erforderlichen kommunikativen Fähigkeiten.

Nach drei bis sechs Monaten, so Mag.a Krestan, sollten PatientInnen vor allem folgendes gelernt haben: Sie kennen die Symptome ihrer Erkrankung, sie wissen, welche Medikamente sie selbst variieren können und dass die kardiospezifische Medikation eine Dauermedikation ist. Und sie haben verstanden, dass sie im Falle einer Zustandsverschlechterung den Arzt oder die Ärztin so schnell wie möglich aufsuchen sollten: zum einen, um einen akuten Zustand zu verhindern, d. h. im Ernstfall einen Aufenthalt auf der Intensivstation. Und zum anderen, um einen möglichen Krankenhausaufenthalt zu verkürzen“, sagt Mag.a Krestan. „Im Idealfall verabschieden wir uns am Ende unserer Betreuungszeit von einem Patienten, der erkannt hat, dass wir ihm unser Wissen zu Verfügung stellen können, aber er derjenige ist, der handeln muss.“

Was alle wissen sollten: Typischen Symptome einer Herzschwäche

Bei Herzinsuffizienz können unterschiedliche Beschwerden im Vordergrund stehen und in unterschiedlichen Kombinationen auftreten. Hinweise auf eine Herzschwäche liefern die folgenden Symptome, die ärztlich abgeklärt werden sollten.

* Die typischen Symptome sind Atemnot, speziell bei körperlicher Belastung – etwa beim Stiegen steigen oder im Liegen – Leistungsabfall und Wassereinlagerungen („Ödeme“) und damit Schwellungen auf dem Fußrücken, an den Knöcheln oder am Schienbein.

* Weitere Symptome können sein: sichtbar gestaute Halsvenen, Harndrang in der Nacht, feucht-kalte Haut, Unruhe, schneller Puls, unregelmäßiger Herzrhythmus, Herzklopfen.

* Es kann auch zu Schwindel, Verwirrtheit, Ängsten und Depressionen kommen.

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