Physikalische Medizin und Rehabilitation: Erfolgreich bei Erkrankungen des Bewegungsapparates

Wien (pts027/09.11.2018/12:45) – Unter dem Motto „Muskuloskelettale Medizin“ steht die Jahrestagung 2018 der Österreichischen Gesellschaft für Physikalische Medizin und Rehabilitation (ÖGPMR), die vom 9. bis 10. November in Wien stattfindet. Aus diesem Anlass berichteten Expertinnen und Experten der ÖGPMR bei einem Pressegespräch in Wien über aktuelle Trends und Highlights aus den verschiedenen Bereichen der Physikalischen Medizin und Rehabilitation (PMR).

„Cancer survivorship“: Rehabilitation soll Rückkehr zur Arbeit erleichtern

Immer wirksamere Therapien bei onkologischen Erkrankungen führen zu mehr Bedarf an Rehabilitation für „cancer survivors“ und besseren Möglichkeiten zur Wiedereingliederung in das Berufsleben. Das sollte schon während der anfänglichen Behandlung einer bösartigen Erkrankung mitbedacht werden, betont ÖGPMR-Präsident Univ.-Prof. Dr. Richard Crevenna, MBA, MSc (Leiter der Universitätsklinik für Physikalische Medizin, Rehabilitation und Arbeitsmedizin, MedUni Wien/AKH Wien). „Die modernen Methoden der Früherkennung und Therapie bösartiger Erkrankungen steigern ihre Überlebensraten und Überlebensdauer. Betroffene in den mittleren Altersgruppen und somit im berufsfähigen Alter stellt sich daher zunehmend die Frage nach einem Wiedereinstieg in das Arbeitsleben.“

Zum diesem Thema haben sich die Voraussetzungen in jüngerer Vergangenheit in Österreich deutlich verbessert. Durch das Wiedereingliederungsteilzeitgesetz (WIETZ) ist es Arbeitnehmern möglich, nach mehr als sechswöchigen Krankenständen schrittweise wieder in den Beruf einzusteigen. „Patienten mit Krebserkrankungen sollten bereits ab der Diagnosestellung über die Möglichkeiten und Voraussetzungen für die onkologische Rehabilitation und die Möglichkeiten, die das (WIETZ) bietet, informiert werden“, so Prof. Crevenna. „Eine aktuelle Umfrage unter 30 österreichischen Expertinnen und Experten, die auf der ÖGPMR-Jahrestagung präsentiert wird, hat das klar gezeigt.“

Digitale Reha-Angebote werden immer wichtiger

Viele Maßnahmen, welche die gesundheitliche Situation von Krebspatienten verbessern und deren Lebensqualität erhöhen, müssen längst nicht mehr unter stationären oder auch nur ambulanten Bedingungen erfolgen. „Ein Wiener Projekt, das bei dem Kongress präsentiert wird, ist eine innovative Initiative für türkischstämmige Brustkrebspatientinnen via Internet, das sie zu körperlicher Aktivität motivieren soll“, so Prof. Crevenna. „In größerem Umfang und mit einem für das erste Mal bereits sehr guten Erfolg konnten wir im Mai 2018 erstmals den Online-Brustkrebs-Nachsorgekongress SURVIVA 2018 auf die Beine stellen.“ „Sechs Tage Online-Kongress – jeden Tag ein Thema“, war die Devise. Fragen von Krebspatientinnen wurden von Experten aufbereitet und beantwortet. Das Echo beim ersten SURVIVA-Online-Event war mit mehr als 650 Teilnehmerinnen hervorragend, berichtet Prof. Crevenna.

PMR bei Arthrose: Lange Wartezeiten nach Gelenkersatz-Operation verschlechtern die Prognose

„Probleme mit dem muskuloskelettalen System stehen in vielen Fällen im Vordergrund der Anwendung der vielfältigen Methoden der Physikalischen Medizin. Davon sind die sogenannten Abnützungserscheinungen von Gelenken, die Arthrosen, die häufigsten Diagnosen“, so ÖGPMR-Juniorpräsident Prim. Dr. Christian Wiederer (Ärztlicher Direktor Klinikum am Kurpark Baden für Orthopädie und Rheumatologie und Ärztlicher Leiter Das Kurhaus Bad Gleichenberg). „Bei allen Arthrosen, so auch bei Knie- oder des Hüftgelenksarthrosen, begleiten wir die Betroffenen von der Vorsorge bis zur Rehabilitation. Vorsorge bedeutet hier in vielen Fällen, die Gelenke so zu entlasten, dass bleibende Schäden möglichst minimiert werden. Dabei geht es um eine adäquate und für die Bedürfnisse des einzelnen Patienten zugeschnittene medizinische Trainingstherapie, um die Muskulatur so zu stärken, dass sie ihre Stütz- und Haltefunktion wieder besser erfüllen kann und Überbelastungen verhindert werden.“

Schmerzzustände wie Arthroseschmerzen führen zu Bewegungsarmut, was erst recht zu einem Abbau von Muskeln und Leistungsfähigkeit führt. Prim. Wiederer: „Um diesen Teufelskreis von Schmerz und Funktionseinschränkung bzw. Funktionsverlust zu durchbrechen, eignen sich die Verfahren der Physikalischen Medizin besonders gut.“

Sowohl bei Knie- als auch Hüftgelenksarthrosen kann schließlich die Operation mit künstlichem Gelenksersatz die letztmögliche Therapie sein. Mit rund 280 Hüftgelenksersatz-Eingriffen pro 100.000 Einwohner und Jahr liegt Österreich in einem OECD-Vergleich an zweiter Stelle. Beim Kniegelenksersatz ist Österreich (220 Operationen) sogar die Nummer Eins. „Das führt zu einem steigenden Bedarf an Rehabilitationsangeboten, bei denen die Physikalische Medizin eine entscheidende Rolle spielt“, so Prim Wiederer. „Das beginnt bereits während des Spitalsaufenthalts der Patienten. Ein großes Problem liegt derzeit jedoch in den nachfolgenden Wartezeiten. Wird ein Patient aus dem Spital entlassen, dauert es meist acht bis zwölf Wochen, bis er in stationäre Rehabilitation kommen kann. Aktuell ist die Nachfrage sogar so groß, dass die Aufnahmetermine teilweise erst nach vier Monaten angeboten werden. Doch inzwischen kann der Betroffene gegenüber seinem Status, den er im Krankenhaus unter Remobilisierungs-Maßnahmen und Physikalischer Therapie erreicht hat, wieder zurückfallen. Es müsste also die Physikalische Therapie nach Eingriffen wie Hüft- oder Kniegelenksersatz bereits ab der Entlassung aus dem Krankenhaus und überbrückend bis zum stationären Rehabilitationsaufenthalt gewährleistet werden.“

Update der evidenz- und konsensbasierten Leitlinie fur das Management unspezifischer Kreuzschmerzen

„Unspezifische Kreuzschmerzen stellen ein extrem häufig vorkommendes und teilweise die Betroffenen extrem belastendes Gesundheitsproblem dar“, so Univ.-Prof. Dr. Michael Quittan, Leiter des Referats für Evidenzbasierte Medizin (EBM) der ÖGPMR (Vorstand des Instituts für Physikalische Medizin und Rehabilitation im SMZ-Süd/Wien). „Die seit 2007 bestehende österreichische Leitlinie wurde in ihrer nunmehr dritten Fassung gründlich überarbeitet und mit der derzeit vorliegenden Evidenz erweitert.“

Elf österreichische medizinische Fachgesellschaften haben deshalb unter Patronanz des Gesundheitsministeriums und mit Beteiligung der Österreichischen Ärztekammer die Eckpunkte für Diagnose, Therapie und Prävention akuter, subakuter, chronischer und wiederkehrender unspezifischer Kreuzschmerzen festgelegt. Das soll vor allem der Qualitätssicherung in der Versorgung der Patienten dienen. Prof. Quittan: „Ziel ist eine schnelle und zielführende Diagnostik unter Vermeidung unnötigen technischen Aufwandes und eine effektive und individuell maßgeschneiderte Behandlung.“

Unspezifische Kreuzschmerzen sind enorm verbreitet: Bei Erwachsenen beträgt die Punktprävalenz, also die Häufigkeit zu einem beliebigen Zeitpunkt, zwölf bis 30 Prozent. Im Laufe des Lebens haben 60 bis 85 Prozent der Menschen eine derartige Episode. Die Rückfallrate beträgt innerhalb von zwölf Monaten 20 bis 73 Prozent.

Das Update der bestehenden österreichische Leitlinie geht, wie bisher, von einem bio-psycho-sozialen Modell für Entstehung und Verlauf des unspezifischen Kreuzschmerzes aus. Dabei wird auch auf die Risikofaktoren für die Chronifizierung des Krankheitsbildes Rücksicht genommen.

Daher sollte in der akuten Phase ein rascher und symptom-adäquater Beginn schmerztherapeutischer Maßnahmen erfolgt, so Prof. Quittan. „Dies umfasst nicht-medikamentöse Therapie wie Bewegungstherapie, Manuelle Medizin, physikalische Therapie, bei ausbleibendem Erfolg Akupunktur, bei Chronifizierungsrisiko Entspannungsverfahren und medikamentöse Therapie. Bei chronischen oder chronisch-rezidivierenden Krankheitsverläufen kommen zusätzlich multimodale und rehabilitative Programme zum Einsatz. Neu ist in der vorliegenden Fassung der Leitlinie eine detaillierte Bewertung physikalischer Therapiemethoden.“

PMR-Diagnosemethoden: Weniger Belastung für Patienten und das Gesundheitsbudget

Nicht nur therapeutisch, auch diagnostisch können Fachärztinnen und Fachärzte für Physikalische Medizin und Rehabilitation (PMR) wichtige Beiträge leisten, betont Prim. Univ.-Prof. Dr. Tatjana Paternostro-Sluga, Seniorpräsidentin der ÖGPMR und Primaria des Instituts für Physikalische Medizin und Rehabilitation, SMZ Ost-Donauspital, Wien. „Wir sind die Spezialistinnen und Spezialisten im holistischen Erfassen von Krankheitsbildern wie Schmerzsyndromen des muskuloskelettalen Systems, Bewegungsstörungen oder Immobilität nach schweren Unfällen.“

Die klinische Untersuchung und holistische Erfassung der Patientin oder des Patienten durch die Fachärztinnen und Fachärzte für PMR erlaubt die Auswahl der optimalen weiteren Untersuchungsverfahren im individuellen Bedarfsfall und bildet die Basis für die richtige und sinnvolle Interpretation der Resultate, zum Beispiel aus Bildgebung. „In diesem Sinne ist die personalisierte Medizin ein integraler Bestandteil der PMR“, sagt Prof. Paternostro-Sluga. „Diese Untersuchungsmethoden erreichen zweierlei. Sie schaffen in vielen Fällen eine konkrete Grundlage für sehr präzise weiterführende Hightech-Untersuchungen. Und in vielen anderen Fällen liefern sie bereits konkrete, für die Therapieauswahl ausreichende Ergebnisse, wodurch aufwändige Folgeuntersuchungen überflüssig werden. Das erspart vielen Patienten überflüssige Untersuchungen, die ja auch durchaus als belastend empfunden werden können, und entlastet außerdem das Gesundheitsbudget ohne Abstriche bei der Qualität.“

PMR: Effizienz, die Kosten spart

„Ob nach Frakturen, Verletzungen nach Unfällen, Arthrosen oder beim Wirbelsäulenschmerz: Die Physikalische Medizin hat bei individualisierter Verschreibung einen hohen Stellenwert. Die Effizienz und Kosteneinsparung ist bewiesen, Nebenwirkungen treten extrem selten auf“, so MR Dr. Friedrich Hartl, Obmann der Bundesfachgruppe Physikalische Medizin und Allgemeine Rehabilitation der Österreichischen Ärztekammer und Präsidiums-Mitglied der ÖGPMR. „Neben der nunmehr auch mit der Methodik der Evidenzbasierten Medizin klar nachgewiesenen Wirksamkeit von Physikalischen Therapieverfahren wie Wärme, zum Beispiel in Form von Packungen, therapeutischem Ultraschall, Elektrotherapie zur Schmerzlinderung beziehungsweise Muskelstimulation, Mechanotherapie, wie Heilmassage, Bewegungstherapie, kommen nach Abklingen der Schmerzen im Sinne der Sekundärprävention auch Maßnahmen zum Muskelaufbau wie zum Beispiel Medizinische Trainingstherapie zum Einsatz. Allerdings bedürfen all diese Verfahren einer genaueren Abstimmung auf die Konstitution der Patientinnen und Pateinten, auf die Phase der Erkrankung, das Vorliegen allfälliger Grund- und Begleiterkrankungen oder Kontraindikationen durch Ärztinnen und Ärzte mit entsprechenden Kenntnissen, Fertigkeiten und Erfahrungen in der Verordnung Physikalischer Therapiemodalitäten.“

Neben der individuellen Anpassung der verwendeten Verfahren beim einzelnen Patienten sei die rasche Anwendung im Krankheitsfall entscheidend, so Dr. Hartl. „Es ist daher davon abzuraten, bei Schmerzen am Stütz- und Bewegungsapparat die Entscheidung, einen Arzt aufzusuchen, hinauszuzögern und einfach ohne wesentliche Behandlungsmaßnahmen zu warten.“

Die Situation rund um die Wartezeiten auf eine Physikalische Therapie ist in Österreich von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. „In Wien hat sich die Lage dank der umsichtigen Entscheidung der WGKK, die zur Verfügung stehenden Mittel für Physikalische Therapie 2018 gegenüber 2017 um 8,63 Prozent anzuheben, gebessert“, so Dr. Hartl.

Wirksamkeit und Effizienz der Physikalischen Medizin helfen laut internationalen Studien auch dabei, Kosten für das Gesundheitswesen einzusparen. Eine wissenschaftliche Untersuchung aus Norwegen mit Patienten mit unspezifischem Kreuzschmerz im Alter zwischen 20 und 65 Jahren zeigte, dass eine Physikalische Therapie die Dauer von Krankenständen um 23 Prozent gegenüber der Kontrollgruppe verkürzte. Zu diesem Themenkomplex gibt es auch für Österreich eine Kosten-Nutzen-Abschätzung: 2013 betrugen die Krankenstandkosten bei Erkrankungen des Stütz- und Bewegungsapparates rund 2,1 Mrd. Euro. Bei – ohne Physikalische Therapie – um fast ein Viertel verlängerten Krankenständen und somit um mehr als 23 Prozent erhöhten Krankenstandkosten ließen sich also rund 497 Millionen Euro einsparen. Die Gesamtausgaben für die Physikalische Medizin werden mit circa der Hälfte dieser Ersparnis eingeschätzt. „Ein Euro mehr für die Physikalische Therapie bedeutet somit alleine bei den Kosten für Krankenstände eine Einsparung von zwei Euro.“

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