Wien/Klagenfurt (pts017/23.01.2019/12:55) – Neuropathische Schmerzen sind oft schwer in den Griff zu bekommen. Der Wirkstoff Capsaicin bringt vielfach eine deutliche Erleichterung für die Betroffenen und belastet kaum mit Nebenwirkungen. Das belegen internationale Studien, berichten Experten anlässlich der 18. Österreichischen Schmerzwochen der ÖSG.
Capsaicin, der feurige Inhaltsstoff der Chili, heizt nicht nur dem Gaumen ein, sondern auch dem Schmerz. Immer mehr Studien attestierten dem Alkaloid eine sehr gute Wirksamkeit beim Kampf gegen Nervenschmerzen, die durch Verletzungen oder Erkrankungen von schmerzleitenden Fasern entstehen. „Das ist sehr erfreulich, denn die so genannten neuropathischen Schmerzen sind schwer in den Griff zu bekommen“, sagt dazu ÖSG-Generalsekretär Prim. Univ.-Prof. Dr. Rudolf Likar, Leiter der Abteilung für Anästhesiologie und Intensivmedizin am Klinikum Klagenfurt und Leiter des Zentrums für Interdisziplinäre Schmerztherapie und Palliativmedizin anlässlich der 18. ÖSG-Schmerzwochen. Neuropathische Schmerzen können brennend, elektrisierend, plötzlich einschießend sein oder sich als Taubheitsgefühle äußern.
„In jedem Fall leidet die Lebensqualität der Betroffenen sehr. Trotz verschiedener Leitlinien und medikamentöser Optionen kann ihnen oft nur ungenügend geholfen werden. Capsaicin bringt aber vielfach eine deutliche Erleichterung für die Betroffenen und belastet kaum mit Nebenwirkungen. Völlige Beschwerdefreiheit ist aber trotzdem oft kein realistisches Therapieziel“, so Prof. Dr. Likar.
Die meisten aktuellen Studien haben die Wirksamkeit von Capsaicin-Pflaster mit hoher Wirkstoffkonzentration (8%) untersucht: Eine internationale retrospektive Studie (Tenreiro Pinto et al) analysierte etwa die Behandlung von 43 Patienten, die an Neuralgien infolge einer Gürtelrose (Herpes Zoster), Verletzung bzw. eines chirurgischen Eingriffs litten. Nach sieben bis 14 Behandlungstagen ging die Schmerzintensität um durchschnittlich 40 Prozent zurück. Der Schmerz an der behandelten Stelle verringerte sich um mehr als ein Drittel (35 Prozent).
Auch eine spanische Studie (Galvez et al) mit 60 Teilnehmerinnen und Teilnehmern stellt Capsaicinpflaster ein gutes Zeugnis aus: Die Probandinnen litten unter verschiedenen Arten von Nervenschmerzen, zum Beispiel aufgrund von Operationsnarben oder infolge von Herpeserkrankungen. Das Schmerzempfinden lag im Durchschnitt bei 6,8 Punkten zu Beginn der Behandlung und sank auf 4,1 Punkte bis Behandlungsende. 39 Patienten (65 Prozent) gaben an, bereits mit der ersten Applikation des Pflasters eine Schmerzlinderung erlebt zu haben. „Die Betroffenen litten auch erheblich unter mechanischer Allodynie – das heißt, sie empfanden mechanische Reize wie leichtes Drücken oder Dehnen als schmerzhaft, die einem gesunden Menschen nicht wehtun würden. Auf einer Skala von 0 bis 10 lag ihr Schmerzwert bei 7,9. Er konnte durch das Pflaster auf 4,2 reduziert, also fast halbiert werden“, berichtet Prof. Likar.
Ähnlich erfolgreich wirkten sich die Pflaster auf die übermäßige Schmerzempfindlichkeit der Patienten aus – der Wert für Hyperalgesie sank von 7,5 auf 4,4. Mit dem Behandlungserfolg zufrieden waren 80 Prozent der Studienteilnehmer, nur 20 Prozent gaben an, dass sich ihr Zustand kaum verbessert oder gar verschlechtert hatte. „Von dieser Studie kann man mitnehmen, dass Capsaicinpflaster bei vielen Arten von peripheren Nervenschmerzen helfen können und sich als Monotherapie oder in Kombinationen mit anderen Schmerzmitteln verwenden lassen“, fasst Prof. Likar zusammen.
Eine skandinavische Studie (Hansson et al) hat Wirksamkeit, Sicherheit und Akzeptanz von Capsaicin 8 % Pflaster in der klinischen Praxis getestet: 382 bzw. 181 Patienten und Patientinnen aus Dänemark, Norwegen und Schweden, die mit Sicherheit oder hoher Wahrscheinlichkeit an peripheren neuropathischen Schmerzen litten, wurden im Rahmen der üblichen medizinischen Versorgung mit dem Schmerzpflaster behandelt bzw. nachbehandelt. Bei 28 Prozent bzw. 31 Prozent der behandelten bzw. wiederbehandelten Patienten ließen die Schmerzen in den Wochen 2 bis 8 der Studiendauer um mindestens 30 Prozent nach. Die Lebensqualität und der allgemeine Gesundheitszustand verbesserten sich von der ersten Woche an. Die meisten Nebenwirkungen wie Hautrötungen, Brennen oder Jucken ließen innerhalb einer Woche nach. 57 Prozent bzw. 71 Prozent der behandelten oder wiederbehandelten Patienten wären bereit, sich weiterhin mit dem Pflaster behandeln zu lassen.
Eine italienische Studie (Cruccu et al) belegte, dass Capsaicinpflaster sogar oral verabreichtem Pregabalin überlegen sind – und zwar bei Patienten, die unter dynamischer mechanischer Allodynie aufgrund von peripheren neuropathischem Schmerz leiden. „Darunter muss man sich Menschen vorstellen, denen es weh tut, wenn man ihnen nur mit einem Pinsel über die Haut streicht“, erklärt Prof. Likar.
Im Rahmen der randomisierten Studie wurden insgesamt 488 Patienten behandelt: Einem Teil wurde einmal ein Capsaicin-Pflaster appliziert, dem anderen Teil eine optimale Dosis Pregabalin verabreicht. Nach acht Wochen hatte sich die Schmerzintensität bei den Patienten mit den Capsaicinpflastern im Vergleich zur Kontrollgruppe fast um das Dreifache verringert. Vor allem aber konnten 24 Prozent der Patienten, denen das Pflaster appliziert worden war, ihre Allodynie zur Gänze loswerden. Bei der Kontrollgruppe waren es nur zwölf Prozent.
Quellen: Galvez et al: Repeated twith capsaicin 8% Patch in Localized Peripheral Neuropathic Pain. (WCP 2018, PSN5O8); Tenreiro Pinto J, Pereira F, C, Loureiro M, C, Gama R, Fernandes H, L: Efficacy Analysis of Capsaicin 8% Patch in Neuropathic Peripheral Pain Treatment. Pharmacology 2018;101:290-297. doi: 10.1159/000487444; Cruccu et al: Superiority of capsaicin 8% patch versus oral pregabalin on dynamic mechanical allodynia in patients with peripheral neuropathic pain, European Journal of Pain, 1. Dezember 2017, https://doi.org/10.1002/ejp.1155 ; Hansson et al: Painrelieving effectiveness, quality of life and tolerability of repeated capsaicin 8% patch treatment of peripheral neuropathic pain in Scandinavian clinical practice, , European Journal of Pain, 1. Februar 2018, https://doi.org/10.1002/ejp.1180
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