Multimodale Schmerztherapie: Umfassende Behandlung chronischer Schmerzen mit langfristiger Wirksamkeit

Wien/Klagenfurt/Graz (pts009/24.01.2019/11:45) – Das ganzheitliche Konzept der multimodalen Schmerztherapie ist international als langfristig wirksam anerkannt. In Österreich gibt es allerdings nur eine Einrichtung, die diese Therapie für die Behandlung schwerer chronischer Schmerzen durchführen kann. Eine Tagung mit Expertinnen und Experten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz soll dazu beitragen, die multimodale Schmerztherapie weiter voranzutreiben und zu etablieren.

Bei mehr als 20 Prozent der Menschen, die unter chronischen Schmerzen leiden, haben sich die Beschwerden zu einer eigenständigen Schmerzkrankheit verselbständigt. Die Patientinnen und Patienten leiden dann unter komplexen, körperlichen, seelischen und sozialen Beeinträchtigungen. „In so einem Zustand sind Medikamente allein zu wenig. Was den Betroffenen wirklich hilft, ist eine multimodale Schmerztherapie“, erklärt ÖSG-Generalsekretär Prim. Univ.-Prof. Dr. Rudolf Likar, Leiter der Abteilung für Anästhesiologie und Intensivmedizin am Klinikum Klagenfurt anlässlich der 18. Schmerzwochen der Österreichischen Schmerzgesellschaft.

Unter multimodaler Schmerztherapie ist eine ganzheitlich orientiertes, umfassendes Behandlungskonzept zu verstehen, das individuell auf die Patienten zugeschnitten wird. Zu Beginn der Therapie wird versucht, die vorhandenen Schmerzen mit allen Möglichkeiten der modernen Schmerztherapie zu lindern. Parallel dazu beginnt jedoch auch ein Programm, das es den Patientinnen und Patienten ermöglicht, selbst aktiv zur Verbesserung ihres Zustandes beizutragen. Mit medizinischer Trainings- und Physiotherapie wird etwa die Kraft verbessert. Mit Ausdauer- und Koordinationstraining, Wassergymnastik, Rückenschule oder Stabilisierungsübungen der Wirbelsäule gewinnen Schmerzpatienten wieder an Beweglichkeit.

„Das ist sehr wichtig, denn die Beweglichkeit ist bei vielen Schmerzpatienten aufgrund von Vermeidungshaltungen oft schon jahrelang sehr eingeschränkt“, erklärt Prof. Likar. In der Regel sind Patienten, die unter chronischen Kopfschmerzen leiden, zwei Wochen lang für täglich sechs Stunden in einem solchen Programm, bei jenen mit chronischen Rückenschmerzen sind die Therapiepläne meist auf vier Wochen angelegt.

Ein wesentliches Fundament dieses Therapiekonzepts ist eine verschränkte Zusammenarbeit über die Fachgrenzen hinweg: Um eine optimale Versorgung zu ermöglichen, kooperieren Ärzte, Psychologen, Physiotherapeuten, oft auch Ergotherapeuten eng miteinander. Darum umfasst die multimodale Schmerztherapie auch Entspannungsverfahren, psychologische Schmerzbewältigungsstrategien, Achtsamkeits- und Akzeptanzübungen, kognitive Verhaltenstherapie, Akzeptanz und Commitment-Therapie, Achtsamkeitsmeditation oder Stressmanagement.

„Der Erfolg gibt diesem Konzept Recht: Zahlreiche Studien belegen inzwischen die nachhaltige Wirkung der multimodalen Schmerztherapie“, betont Prof. Likar. So zeigte etwa eine Studie (T. Reck et al), dass Patientinnen und Patienten mit chronischen unspezifischen Rückenschmerzen drei und sogar noch zwölf Monate nach Therapiebeginn deutliche Verbesserungen in allen erhobenen Gesundheits- und Lebesqualitätsparametern erreichten.

Die Therapie war dabei mit einer Woche zwar verhältnismäßig kurz, aber mit 34 Behandlungsstunden sehr intensiv. Das Behandlungskonzept wurde dann mit einer ambulanten multimodalen Schmerztherapie längerfristig fortgeführt. Eine weitere Studie (A Zhuk et al) zeigte, dass die Wirksamkeit der multimodalen Schmerztherapie bei chronischen Rückenschmerzen auch noch nach zehn Jahren gegeben war. Vor allem bei Patienten mit einem eher niedrigen Grad der Chronifizierung dürfte diese Therapieform langfristig die Schmerzintensität reduzieren.

In Österreich fehlen spezialisierte Einrichtungen

„Leider fehlt es in Österreich an spezialisierten Einrichtungen, die komplexen Schmerzerkrankungen mit ganzheitlichen Strategien begegnen“, erklärte Prof. Likar. Die multimodale Schmerztherapie ist zwar internationalen evidenzbasierten Erkenntnissen zufolge ein Muss für die effektive und langfristige Schmerzbekämpfung, in Österreich wird sie derzeit aber nur im Zentrum für Interdisziplinäre Schmerztherapie Klinikum Klagenfurt angeboten. Dieses Programm wird derzeit vom Kärntner Gesundheitsfonds und der Kärntner Gebietskrankenkasse finanziert.

„Aktuell sind wir in einer sehr positiven Verhandlung mit der Pensionsversicherungsanstalt, das ist eine erfreuliche Entwicklung“, so Prof. Likar. „Wir hoffen auf baldige flächendeckende Versorgung in ganz Österreich. So aufwändig das multimodales Behandlungskonzept auch ist, es rechnet sich auch. Denn chronischen Schmerzpatienten wird durch die Therapie oft die Rückkehr ins Berufsleben ermöglicht. Längerfristig senkt sie auch die Zahl der schmerzbedingten Krankenstandstage“, so Prof. Likar.

Schmerzspezialisten organisieren Dreiländertagung zum Thema

Um die multimodale Schmerztherapie weiter bekannt zu machen und die vielfältigen Aspekte der aktuellen Schmerzmedizin zu diskutieren wird am 29. und 30. März unter dem Motto „Visionen moderner Schmerzmedizin – Multimodale Schmerzmedizin“ eine Dreiländertagung (ACHD) in Wien stattfinden, organisiert von der ÖSG. Zentrale Fragen dabei sind: Warum muss Schmerzmedizin interdisziplinär sein? Wie muss multimodale Schmerztherapie organisiert sein, wie durchgeführt werden und welche Therapiemaßnahmen sind unerlässlich oder zusätzlich wünschenswert? Haben alternative Behandlungsmethoden wie Akupunktur oder Neuraltherapie einen Stellenwert in der multimodalen Schmerztherapie? Rechnet sich stationäre oder tagesklinische multimodale Schmerztherapie für das Krankenhaus?

„Die gemeinsame Diskussion von Expertinnen und Experten aus Deutschland, wo eine nahezu flächendeckende Versorgung besteht, Österreich und der Schweiz soll uns unserem Ziel ein Stück weit näherbringen: multiprofessionelle Hilfe für unsere Schmerzpatientinnen und -patienten!“ erklärt ACHD-Tagungspräsident und ÖSG-Präsidiumsmitglied Univ.-Prof. Dr. Michael Herbert, Vorstand der Universitätsklinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin Graz).

Quellen: T. Reck, W. Dumat, J. Krebs, A. Ljutow: Ambulante multimodale Schmerztherapie. Ergebnisse eines 1-wöchigen ambulanten intensiven multimodalen Gruppenprogramms für Patienten mit chronischen unspezifischen Rückenschmerzen – retrospektive Evaluation nach 3 und 12 Monaten. Der Schmerz. October 2017, Volume 31, Issue 5, pp 508-515; A. Zhuk, M. Schiltenwolf, E. Neubauer: Langfristige Wirksamkeit einer multimodalen Schmerztherapie bei chronischen Rückenschmerzen. Der Nervenarzt. May 2018, Volume 89, Issue 5, pp 546-551

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