TIROLER TAGESZEITUNG „Leitartikel“ vom 9. Februar 2022 von Karin Leitner „Eine Entschuldigung reicht nicht“

Innsbruck (OTS) – Es geht nicht nur um einen einstigen Sager. Es geht um ein Unsittenbild von Praktiken in der ÖVP. Ihr neuer Obmann, Karl Nehammer, hat viel zu tun, um das Image der vormaligen Erfolgspartei zu verbessern. Johanna Mikl-Leitner hat etwas getan, was in so einem Falle selbstverständlich sein sollte, es hierzulande aber nicht ist. Dass sich ein Politiker für etwas entschul­digt. Kaum war die SMS-Nachricht, die sie als Innenministerin an ihren Kabinettschef Michael Kloibmüller geschrieben hatte, publik, kam ein Mea culpa von ihr. Über die SPÖ, mit der die ÖVP koalierte, hatte Mikl-Leitner 2016 geurteilt: „Rote bleiben Gsindl!“ Nun sagt die jetzige Landeshauptfrau: „So sollte man weder miteinander noch übereinander reden.“ In der Tat. Tatsächlich Reue ist das hoffentlich, nicht nur Kalkül, weil sie im kommenden Jahr eine Wahl zu schlagen hat. Aber reicht eine Entschuldigung? Das tut es nicht. Mikl-Leitner sollte nicht glauben, dass die Angelegenheit damit erledigt ist. Es geht nicht nur um die einstige Äußerung. Es geht um viel mehr. Es geht um ein System, das eine Partei, konkret Proponenten aus Niederösterreich, in dem auch von ihr geführten Innenministerium über Jahre hinweg etabliert hat. Und von dem immer mehr zutage kommt, belegt durch Chats aus dem Handy Kloibmüllers, einer Zentralfigur in dieser Causa. Zur Jobvergabe- und damit Machtvergabehochburg für Parteigänger ist das Innenressort geworden. Zu sagen, dass nicht die ÖVP die Freunderlwirtschaft erfunden habe, dass diese auch in anderen Parteien, zuvorderst der SPÖ, gang und gäbe sei, reicht auch nicht. Dass es Schlechtes auch andernorts gibt, stimmt, macht es aber nicht besser. Abgesehen davon gehen die Vorwürfe gegen die Bundes-ÖVP viel weiter; sie betreffen nicht nur das Innenressort, sie betreffen auch Polit-Praktiken in der Justiz – bis hin zur Inseraten-Affäre. Es geht um mutmaßliche Korruption, gegen etliche vormalige hochrangige ÖVP-Politiker ermittelt die Staatsanwaltschaft. Und was sich da seit Monaten zu einem Unsittenbild zusammenfügt, wird immer unerquicklicher für Karl Nehammer. In der niederösterreichischen ÖVP sozialisiert, war er dann ÖVP-Generalsekretär, Vertrauter von Vorvorgänger Sebastian Kurz, Innenminister. Im U-Ausschuss zu all den Belangen wird der Kanzler und ÖVP-Chef demnächst als Zeuge befragt. Damit, diesen als „Tribunal“ abzutun, erneut zu beteuern, dass die ÖVP kein Korruptionsproblem habe, wird es nicht getan sein. Nur noch elf Prozent der Bürger geben der Kanzlerpartei ein Anstands-Attest. Nehammer muss zeigen, dass er es ernst meint mit dahingehender Aufräumarbeit in seiner Partei, auch durch baldige gesetzliche Neuerungen in puncto Transparenz. Selbst wenn sie von ihm käme, eine Entschuldigung würde nicht reichen.

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