TIROLER TAGESZEITUNG „Leitartikel“ Ausgabe vom 5. Juli 2022, von Karin Leitner: „Anschauen reicht längst nicht mehr“

Innsbruck, Wien (OTS) – Bürgerinnen und Bürger haben sich gewissenhaft mit einer guten und akuten Sache befasst. Sie haben sich auf Notwendigkeiten gegen den Klimawandel verständigt. Die Politik ist gut beraten, die Ergebnisse ernst zu nehmen. Alarmierende Meldungen, Tag für Tag, weltweit. Dürre dort, Hochwasser da, Waldbrände, schmelzende Gletscher mit dem jetzigen Bruch eines solchen in den Dolomiten, mindestens sieben Menschen darob gestorben, Wasserknappheit in Italien, Muren nach schweren Unwettern in Österreich. Die Pandemie hat eine Katastrophe überdeckt, die lange vorher absehbar war: die Erderwärmung, den Klimawandel mit gravierenden Folgen für Mensch und Tier. Zu zögerlich waren und sind aus Sicht vieler die politisch Verantwortlichen, auch hierzulande. Ein Klimavolksbegehren wurde initiiert, das 380.000 Leute unterstützten. Ein Verlangen daraus realisierten die Regierenden. Ein „Klimarat“ wurde installiert. 100 zufällig ausgewählte Bürger, aber repräsentativ, haben sich seit Mitte Jänner mit den relevanten Themen – von Energie und Mobilität bis zu Produktion und Wohnen – beschäftigt. Es war kein Kaffeeklatsch, tiefgehend haben sich die Frauen und Männer, jung und alt, mit unterschiedlichen Biografien, begleitet von Wissenschaftern, mit der Materie auseinandergesetzt. Das Bemerkenswerte: Trotz anfänglicher Differenzen haben sie – nicht darin erprobt wie Koalitionäre – Konsens erzielt, sich auf 90 Empfehlungen verständigt. Grünen-Klimaschutzministerin Leonore Gewessler und ÖVP-Wirtschaftsminister Martin Kocher haben sie das Papier nun übergeben. Beide wären in jeder Hinsicht schlecht beraten, es mit einem „Danke, ganz lieb“ in einer Schublade zu verräumen. Auch ein „Wir werden uns das anschauen“, das neuerdings immer öfter von Türkisen und Grünen zu hören ist, wird nicht reichen. So ernst- und gewissenhaft, wie das Menschen abseits der Politik mit der Causa getan haben, so ernst- und gewissenhaft sollten sich Türkise und Grüne den Ergebnissen widmen – von der Verankerung eines Grundrechts auf Klimaschutz bis zum Bodenversiegelungsstopp. Den Klimarat als untaugliches Gremium zu qualifizieren, dessen Befunde nicht relevant für ihn seien, wie das ÖVP-Nationalratsmandatar Johannes Schmuckenschlager gemacht hat, geht nicht an. Er diskreditiert damit Bürger, die sich nicht nur für eine gute, sondern auch akute Sache einsetzen. Derlei Abwertung hemmt weiteres Engagement. Abgesehen davon: Des Klimarats hätte es nicht bedurft, wäre politisch nicht nur geredet und versprochen, sondern gehandelt worden. Das Wissen, was nötig ist, ist seit Langem da. Wird trotz des berechtigten Druckes weiter zugewartet, wird sich das rächen – auch bei der nächsten Wahl.

Tiroler Tageszeitung 0512 5354 5101 chefredaktion@tt.com

OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS. www.ots.at
(C) Copyright APA-OTS Originaltext-Service GmbH und der jeweilige Aussender.