Multiple Sklerose: Innovative Medikamente und neue Behandlungsrichtlinien optimieren die Therapie, verbessern Prognose

Lissabon (pts001/16.06.2018/09:00) – Weltweit sind etwa 2,3 Millionen Menschen an Multipler Sklerose (MS) erkrankt, der häufigsten neurologischen Krankheit im jungen Erwachsenenalter. Drei bis vier Mal mehr Frauen als Männer sind von dieser chronisch entzündlichen Erkrankung des Zentralnervensystems mit dem Risiko einer zunehmenden Behinderung betroffen. „Vielversprechende neue Medikamente und die dieses Jahr veröffentlichten Behandlungsleitlinien des European Committee for Treatment and Research in Multiple Sclerosis (ECTRIMS) und der European Academy of Neurology (EAN) werden die Behandlung von MS wesentlich weiter entwickeln und verbessern“, sagt EAN-Präsident Prof. Dr. Günther Deuschl anlässlich des 4. Kongress der EAN in Lissabon, auf dem die neuen Entwicklungen in der MS-Therapie auf breiter Basis diskutiert werden.

Bei 85 bis 90 Prozent der Patienten startet MS mit einem schubförmigen Verlauf. Es gibt aber auch Betroffene mit einem primär progredienten Verlauf, bei ihnen nehmen die Beschwerden von Beginn an kontinuierlich zu. Bei einem hohen Anteil der Patienten mit schubförmiger MS würde sich ohne kompetente Behandlung ein sekundär progredienter Verlauf mit ständigem Fortschreiten der bestehenden Symptome entwickeln. Ein typisches Beispiel ist die Beeinträchtigung der Gehfähigkeit, die zu Invalidität führen kann.

Behandlungsziele: Schübe und fortschreitende Behinderung optimal vermeiden

Bis Mitte der 1990er-Jahre war nur eine medikamentöse Therapie akuter MS-Schübe möglich. Mit den ersten Krankheits-modifizierenden Therapien wie Beta-Interferon oder Glatirameracetat ließ sich die jährliche Schubrate um etwa ein Drittel reduzieren. Seither sind zahlreiche neue Medikamente verfügbar geworden, einschließlich Monoklonaler Antikörper. „Heute ist die Behandlung von MS daran orientiert, Schübe möglichst zu vermeiden und das Fortschreiten der Behinderung zu verhindern“, sagt Prof. Franz Fazekas, President elect der EAN, der an der Erstellung der europäischen Behandlungsleitlinie beteiligt war. „Einige dieser Medikamente können auch gefährliche Nebenwirkungen haben, was wir berücksichtigen müssen, wenn wir unsere Patienten beraten. Bei kompetenter Behandlung kann die Erkrankung inzwischen bei 80 bis 85 Prozent der Patienten kontrolliert werden.“

Cladribin und Ocrelizumab: Neue Optionen erweitern die MS-Behandlung

Zuletzt wurden in der EU zwei neue Medikamente und Behandlungsformen zugelassen, die eine weitere Optimierungen bringen sollen. Cladribin wurde ursprünglich in der Krebsmedizin eingesetzt. Seine Wirkungsweise in Bezug auf das Immunsystem macht es über die langfristige Wirkung auf die Lymphozyten hinaus interessant und einsetzbar. Damit behandelte Patienten nehmen 14 Tage Cladribin-Tabletten ein, darauf folgt eine einjährige Behandlungspause, im zweiten Jahr wird noch einmal 14 Tage therapiert, und schließlich folgt eine zweijährige Nachbeobachtungs-Periode. Während das ein interessantes und vielversprechendes Konzept ist, kann derzeit noch nicht eingeschätzt werden, bei wie vielen Patienten und für wie lange Zeit eine solche Behandlung die Krankheitsaktivität zum Stillstand bringen kann und wie vorzugehen ist, wenn es zu einem Rückfall kommt. Es werden auch noch Langzeiterfahrungen nötig sein, um das Sicherheitsprofil des Medikaments einschätzen zu können.

Die zweite neue MS-Therapie ist der monoklonale Antikörper Ocrelizumab, seit Jahresbeginn in der EU zugelassen zur Behandlung von aktiver schubförmiger MS, aber auch für Patienten mit früher primär chronisch progredienter MS. „Hier gab es bisher keine Therapie“, sagt Prof. Fazekas. Ocrelizumab wirkt gezielt auf die B-Zellen des Immunsystems, die an der MS beteiligt sind.

Nach einer Erstanwendung erfolgt die weitere Behandlung mit Ocrelizumab per Infusion alle sechs Monate. Auch bei dieser neuen Therapie sind Daten zur Langzeit-Sicherheit noch ausständig.

„Die Möglichkeit, zwischen vielen verschiedenen Medikamenten wählen zu können, ermöglicht es Neurologen, die MS-Behandlung an die individuellen Bedürfnisse ihrer Patienten und an den Krankheitsverlauf anzupassen“, so Prof. Fazekas. „Die Diagnose MS bedeutet, dass Patienten damit bis zu 60 oder 70 Jahre leben müssen, und wir müssen sie bei der Krankheitskontrolle bestmöglich unterstützten, unter Abwägung von Nutzen und Risiko.“

Neue Behandlungsleitlinie unterstützt Ärzte bei der Therapieauswahl

Auf Initiative von EAN und ECTRIMS erarbeiteten Neurologen aus 13 Ländern 21 Empfehlungen für die MS-Behandlung. Die neue europäische Behandlungsleitlinie basiert auf der Auswertung klinischer Studien und unterstützt Ärzte dabei, bei ihren Therapieentscheidungen Chancen und Risiken der zur Verfügung stehender Behandlungsoptionen abzuwägen. „Diese neue Guideline ist Teil des Guideline Programms der EAN, im Rahmen dessen alle wichtigen neurologischen Erkrankungen aufgearbeitet werden sollen. Derzeit sind rund 20 Guidelines in Arbeit“, so Prof. Deuschl. „Das unterstreicht die große Bedeutung der EAN, die solche übergreifenden Themen bearbeitet und damit nicht nur den Behandlern, sondern auch der Gesundheitspolitik wichtige Grundlagen liefert.“

Quelle: Montalban X. et al.: ECTRIMS/EAN guideline on the pharmacological treatment of people with multiple sclerosis. Eur J Neurol. 2018 Feb;25(2):215-237. doi: 10.1111/ene.13536. Epub 2018 Jan 19.

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