Demenz vorbeugen: Big Data und Genetik als neue Ansätze

Lissabon (pts005/17.06.2018/09:10) – Großes Interesse gilt in der Demenzforschung der Frage, ob und wie körperliche Aktivität der Demenzerkrankung vorbeugen kann. „Wir wissen heute, dass ein guter körperlicher Zustand auch für ein gesundes Gehirn sorgt. Beobachtungsstudien lassen zudem vermuten, dass Menschen, die sich viel bewegen, auch einen besseren kognitiven Status haben“, sagte Prof. Ana Isabel Verdelho (Lissabon) beim 4. Kongress der European Academy of Neurology (EAN) in Lissabon.

Die Neurologin arbeitet derzeit an einer Studie, in der untersucht wird, ob körperliche Aktivität tatsächlich kognitive Schäden verhindern kann, deren Ursachen in Durchblutungsstörungen des Gehirns liegen. „Die Suche nach geeigneten Studienteilnehmern gestaltet sich schwierig. Wenn Menschen, die ihr Leben lang körperlich aktiv waren, nicht von Demenz betroffen sind, kann man trotzdem nicht einfach den Schluss ziehen, dass Bewegung der Grund dafür ist. Sie haben möglichweise auch anderer gute Entscheidungen getroffen und zum Beispiel auf ihre Ernährung geachtet oder regelmäßig hinsichtlich vaskulärer Risikofaktoren untersuchen lassen.“ Ziel der Studie ist es, zu klären, ob körperliches Training spezifisch zu einem besseren kognitiven Verlauf beiträgt.

Risikofaktoren für Demenz

Die größten Risikofaktoren für Demenz sind bereits gut bekannt: „Risikofaktor Nummer eins ist das Alter – je älter man ist, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit dement zu werden“, erklärt Prof. Verdelho. Ein zweiter Risikofaktor hängt mit dem Bildungsgrad zusammen: „Sind Menschen ihr Leben lang geistig aktiv, so startet bei ihnen die Demenz-Erkrankung später. Vielleicht liegt das auch daran, dass sich bei einem ständig ,trainierten‘ Gehirn Defizite erst später zeigen.“ Weiters sind vaskuläre Faktoren wie Bluthochdruck, Diabetes, Adipositas und Cholesterin entscheidend. „Das wirkt sich insbesondere dann aus, wenn diese negativen Faktoren schon in frühen Jahren gegeben sind. Wir haben das Problem, dass sich die meisten Menschen nicht schon in ihren 30er oder 40er Jahren untersuchen lassen, um festzustellen, ob sie Bluthochdruck haben. Wir sollten daher auch aus Gründen der Demenzprävention früher mit den Vorsorgeuntersuchungen beginnen“, sagte Dr. Verdelho. Bekannt ist auch, dass Ernährung eine wichtige Rolle spielt. „Wie in vielen anderen Gesundheitsbereichen auch, erwies sich die Mittelmeerdiät – also eine Ernährung mit viel Fisch, Gemüse und Olivenöl – als förderlich für die Demenzprävention“, erklärt Prof. Verdelho.

Big Data verbessert Demenzforschung

Ein Problem der Demenzforschung ist, dass die Symptome der Erkrankung lange unsichtbar bleiben, bis sie die Person merkbar beeinträchtigen. „Es ist daher schwierig, Patienten für randomisierte Studien zur Demenzvorbeugung zu finden“, erklärte Prof. Verdelho. Dazu kommt, dass aus Studien gewonnen Daten nur Schlüsse auf die ausgesuchten Patientengruppen und nicht auf die allgemeine Bevölkerung zulassen. Fortschritte erhofft sich die Forschung daher vom sogenannten „Big Data-Ansatz“, bei dem immer größere Datenmengen in immer kürzerer Zeit erfasst, verknüpft und analysiert werden.

Die Möglichkeiten von „Big Data“ sind vielversprechend: „Damit könnten wir unsere Modelle vom Verlauf der Demenz verbessern, die Risikofaktoren und die Ursachen der Krankheit besser verstehen und früher diagnostizieren. Außerdem lässt sich die Verteilung von Ressourcen optimieren und maßgeschneiderte Behandlungen für Patienten mit speziellen Krankheitsverläufen zur Verfügung stellen“, sagte Prof. Verdelho. Insbesondere könnte das geschehen, wenn Daten aus den elektronischen Gesundheitsakten, Daten über molekulare Biomarker sowie Daten aus mHealth (Daten aus mobilen elektronischen Geräten wie etwa Smartphones) einbezogen werden.

„Big Data“ wirft allerdings auch eine Reihe von technischen, wissenschaftlichen und datenschutzrechtlichen Fragen auf. „Größere Datensätze sind nicht zwingend auch bessere Datensätze. Genauigkeit und kritische Analyse wird der Schlüssel dazu sein, diese Daten auch optimal zu nutzen. Wir gehen zwar davon aus, dass ‚Big Data‘ einer der richtigen Wege zu neuen Erkenntnissen ist. Bislang hat dieser Ansatz aber noch nicht die konkrete Praxis der Vorbeugung oder Behandlung erreicht“, erklärte Dr. Verdelho.

Auf den Spuren von Demenz-Genen

Ein weiterer relativ neuer Ansatz in der Demenzforschung ist die Genetik bzw. Gen-Diagnose. „Davon werden wir in der Zukunft sehr profitieren. Noch hat aber auch dieser Ansatz keine wirksame Therapie zur Heilung der Demenz oder Verlangsamung ihres Fortschreitens hervorgebracht“, berichtete die Demenzexpertin. Bekannt ist, dass die Varianten von drei Genen – UNC5c, ENC1 und TMEM106B – die Widerstandsfähigkeiten gegenüber pathologischen Veränderungen erhöhen, wie sie bei Alzheimer, Schlaganfall und anderen Neoropathologien entstehen. TMEM106B ist außerdem als protektives Gen bei der Entwicklung frontotemporaler Demenzen bekannt. Bei der Alzheimer Erkrankung, die 50 bis 75 Prozent der Demenz-Fälle ausmacht, wurden schon vor 30 Jahren die Gene (APP, PSEN1, PSEN2) entdeckt, die mit der Ätiologie dieser Erkrankung verbunden sind.

„Bei diesen ‚Alzheimer-Genen‘ gibt es allerdings auch Mutationen, deren Pathogenität unbekannt ist. Und es gibt noch keinen Test, wie wir die Gen-Variante, die Alzheimer entstehen lässt, von den neutrale Varianten unterscheiden können“, sagte Prof. Verdelho und fasste zusammen: „Die Widerstandsfähigkeit des Gehirns gegenüber pathologischen Veränderungen könnte entscheidend von den genetischen Grundlagen abhängen. Aus weiteren Erkenntnissen über den protektiven Mechanismus dieser Gene könnten wir neue Therapien gegen Demenz entwickeln.“

Demenz ist eine Erkrankung mit einer Reihe von Symptomen wie Erinnerungsverlust, kognitive Einschränkung, Verhaltensveränderungen, die das tägliche Leben stark beeinträchtigen. Weltweit gibt es 47 Millionen Demenzkranke. Bis 2050 werden es 131 Millionen sein. Demenz stellt daher eine große soziale und ökonomische Belastung dar.

Quellen: 4th EAN Congress Lisbon 2018 Focused Workshop 12: Neurogenetic avenues and new directions on risk factors in dementia?; Abstract 4th EAN Congress Lisbon 2018: EPR2001 K. S. Frederiksen, L. Gjerum, S. Hasselbalch, G. Waldemar: Physical aktivity as a moderator of AD pathology Physical activity as a moderator of AD pathology: a systematic review of observational studies; Ienca M, Vayena E, Blasimme A: Big Data and Dementia: Charting the Route Ahead for Research, Ethics, and Policy. Front Med (Lausanne). 2018; 5: 13; Vermunt L, Veal CD, Visser PJ et al: European Prevention of Alzheimer’s Dementia Registry: Recruitment and prescreening approach for a longitudinal cohort and prevention trials. Alzheimers Dement. 2018 Mar 28. pii: S1552-5260(18)30064-5. doi: 10.1016/j.jalz.2018.02.010. [ Epub ahead of print ]

(Ende)

Aussender: Bettschart&Kofler Kommunikationsberatung GmbH Ansprechpartner: Dr. Birgit Kofler Tel.: +43-1-3194378 E-Mail: kofler@bkkommunikation.com Website: www.ean.org/lisbon2018/