TIROLER TAGESZEITUNG, Leitartikel: „Johannes Rauch, ganz allein!, von Wolfgang Sablatnig

Innsbruck (OTS) – Der neue Gesundheitsminister kann zwar die dringendsten Nöte der Spitäler entschärfen. Die fehlende Glaubwürdigkeit der Corona-Politik müsste die Regierung aber gemeinsam wiederherstellen. Die Kraft dazu fehlt. Reden kann der neue Gesundheitsminister Johannes Rauch – so, dass die Betroffenheit über die Corona-Lage echt wirkt und die Inhalte bei unbewegter Miene nicht beliebig austauschbar sind. Im Vergleich zu Auftritten zur Corona-Politik, die wir in den vergangenen zwei Jahren erleben mussten, ist das schon etwas. In der Sache versucht Rauch zu tun, was ihm möglich ist. Tatsächlich sind Spitäler und Pflegeheime wieder an oder jenseits der Belastungsgrenze. Sie haben aber nicht zu viele Kranke zu versorgen, ihnen fehlt das Personal. Kein Wunder: Wenn aktuell 450.000 Menschen aktiv mit Corona infiziert sind, ist das eine oder einer von 20 Menschen, die in Österreich leben. Das spüren alle. Jedes Unternehmen, jede Schule – und natürlich jedes Spital und jedes Pflegeheim. Also: zurück zur Maske in den Innenräumen – nicht gleich, aber Mitte nächster Woche. Und so, wie der Minister geklungen hat, werden künftig auch positiv getestete Personen unter bestimmten Voraussetzungen arbeiten dürfen oder müssen. Rauch sagt selbst, die jüngsten Öffnungen seien zu früh gekommen. Das sehen auch die Experten in Gecko- und Ampelkommission so. Sie sind verärgert. Denn am Ende tut die von ihnen beratene Regierung doch, was sie ohnehin getan hätte. Zu früh geöffnet? Möglich ist auch eine andere Sicht. Corona hat den Schrecken verloren. Wir alle kennen Menschen, die eine Infektion durchgemacht haben. Ein paar Tage war es zumindest für die Geimpften nur unangenehm. Aber mehr nicht. Noch dazu hat die Wirtschaft mit den Folgen des Krieges genug andere Sorgen. Und die Gegner der Maßnahmen verlieren ihre Angriffspunkte, wenn Maske und Beschränkungen an vielen Orten fallen. Also lassen wir das Virus durchrauschen! Die Regierung erlag den Verlockungen – gemeinsam, vom Kanzler abwärts, unter dem Applaus vieler Länder und der Wirtschaft. Die neuen Verschärfungen musste Rauch allein ankündigen. Alle schauen auf ihn. Allein entscheiden kann der Gesundheitsminister aber kaum etwas. Gestern konnte er nicht einmal sagen, ob die Maskenpflicht auch an den Schulen wieder verschärft wird. Rauchs neue Maßnahmen mögen die dringendsten Nöte der Spitäler entschärfen. Das Grundproblem bleibt: Die Glaubwürdigkeit der Corona-Politik ist längst dahin. Abhilfe schaffen könnte entschiedenes Handeln der Regierung. Vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs ist das nicht leicht. Der Koalition fehlt aber auch die Kraft, weil sie nach dem Rückzug von Sebas­tian Kurz noch kein neues Gleichgewicht ge­funden hat.

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