TIROLER TAGESZEITUNG „Leitartikel“ vom 30. Jänner 2023 von Michael Sprenger „Rhythmusstörungen bei ÖVP und SPÖ“

Innsbruck (OTS) – Die ÖVP verliert nach Tirol in ihrem zweiten Kernland dramatisch. Die SPÖ wird in Niederösterreich – wie in Tirol – von der FPÖ überholt. Beide könnten ein Koalitionsbündnis eingehen. Und die FPÖ trommelt weiter.“ Bei ihrer Stimmabgabe versuchte Niederösterreichs ÖVP-Chefin und Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner gegenüber Medienvertretern noch einmal dem Wahltag eine dramatische Note zu verleihen. „Dieser Tag kann zum Schicksalstag für Niederösterreich werden.“ Solche Sätze kann man nur dann so formulieren, wenn Niederösterreich längst zu einem Synonym für die niederösterreichische Volkspartei geworden ist. Und ja, das ist es für die ÖVP auch geworden. Doch nein, ein Schicksalstag wurde der 29. Jänner für Niederösterreich nicht. Vielleicht ein Schicksalstag für Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner, vielleicht ein Schicksalstag für den SPÖ-Landeschef Franz Schnabl. Denn für ihrer beider Zukunft könnte dieser Tag eine Abkehr von der politischen Funktion bedeuten. Noch klammern sie sich an die Macht. Aber Schickalstag für Niederösterreich? Nein, auch für die ÖVP (und SPÖ) sollten bittere Wahlergebnisse zur Demokratie gehören. Ja, wir erkennen eine Abkehr von alten Machtstrukturen mit Folgen – auch für den Bund. Die Landtagswahl in Niederösterreich hat mit der FPÖ eine klare Gewinnerin. Sie wird weiter gegen die Bundesregierung trommeln, gegen Sanktionen und Asylwerber – und wenn es notwendig ist gegen die EU. Dieser blaue Trommelwirbel wird bei den Wahlen in Kärnten und Salzburg zum lauten Lärm werden. Dieser Lärm wiederum wird bei den Parteizentralen in ÖVP und SPÖ zu Rhythmusstörungen führen. In der SPÖ wird die Debatte über Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner jedenfalls erneut befeuert werden. Wenn Rendi-Wagner bis zur Salzburg-Wahl keine Trend-Umkehr schafft, interne Querelen nicht beenden kann, wird die SPÖ sicher nicht mit ihr als Spitzenkandidatin in die Nationalratswahl gehen. Und da wären wir wieder beim persönlichen Schicksal. Denn so wie Rendi-Wagner könnte es auch Karl Nehammer ergehen. Wenn, wie zu erwarten, die ÖVP auch in Kärnten (da liegt sie schon am Boden) und in Salzburg ein Minus anschreibt, sind die Tage Nehammers gezählt. Nach dem Debakel in Tirol und in Niederösterreich wird ein weiteres Minus im bürgerlichen Salzburg nicht folgenlos bleiben. Doch zuvor braucht es die Weichenstellung in Niederösterreich. Erstmals hat die VP in der Regierung keine Absolute mehr. Sie muss eine De-facto-Koalition bilden. Die ÖVP könnte wie in Ober- österreich ein Bündnis mit der FPÖ eingehen. Dann aber ohne Mikl-Leitner. Oder – wie in Tirol – die Zusammenarbeit mit der SPÖ suchen. Und die FPÖ? Sie lacht sich eins und übt mit der Trommel. Durchaus taktlos.

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